Historische Entwicklung der diagonalen Kumulierung
In den 1990er Jahren wurde zwischen der Europäischen Gemeinschaft, den EFTA-Ländern (Schweiz, mit Liechtenstein, Norwegen, Island), zahlreichen Ländern in Mittel- und Osteuropa (die zwischenzeitlich Mitgliedstaaten der EU sind) und der Türkei ein System der diagonalen Ursprungskumulierung errichtet, das als "paneuropäische Kumulierung" bezeichnet wird.
In der Folgezeit wurde das System der paneuropäischen Ursprungskumulierung schrittweise auch auf die Partnerländer im Mittelmeerraum (Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien, Westjordanland/Gazastreifen) und die Teilnehmer des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses der EU (SAP: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und Kosovo) ausgeweitet. Zu der erweiterten Zone gehören zudem die Färöer-Inseln sowie Georgien, die Republik Moldau und die Ukraine. Die Kumulierung in dieser Zone wird "Paneuropa-Mittelmeer-Kumulierung" (abgekürzt Pan-Euro-Med-Kumulierung oder auch PEM-Kumulierung) genannt. Sie setzt systembedingt neben einem Netzwerk von Präferenzabkommen zwischen allen an der Kumulierung teilnehmenden Ländern auch die Anwendung einheitlicher Ursprungsregeln voraus.
Im Warenverkehr mit den meisten der genannten Länder findet sich die Rechtsgrundlage für die Kumulierung im Regionalen Übereinkommen und zwar in dessen Anlage I.
Am 1. Januar 2025 trat das revidierte Regionale Übereinkommen in Kraft, das aber noch nicht alle Teilnehmerländer anwenden. Noch bis zum 31. Dezember 2025 können diese Länder das alte Regionale Übereinkommen bzw. die bilateralen Ursprungsprotokolle weiter anwenden. Gleichzeitig können Länder, die das revidierte Regionale Übereinkommen schon anwenden bis Ende 2025 das alte Regionale Übereinkommen als Übergangsregeln parallel anwenden.
Informationen zu den Übergangsregeln
Matrix für die Anwendbarkeit der Kumulierung: "Wer mit wem?"
Derzeit bestehen noch nicht zwischen allen Ländern der Pan-Euro-Med-Zone entsprechende Abkommen mit gleichen Ursprungsregeln. Auch das Regionale Übereinkommen ist noch nicht für alle Länder der Kumulierungszone anwendbar. Wegen des bestehenden wirtschaftlichen Interesses hat man sich deshalb zu einem als "variable Geometrie" bezeichneten Verfahren entschlossen, das eine sofortige, wenn auch eingeschränkte Anwendung der diagonalen Kumulierung ermöglicht:
Wenn mindestens drei Vertragsparteien untereinander das Regionale Übereinkommen anwenden oder Pan-Euro-Med-Abkommen mit gleichlautenden Ursprungsprotokollen bestehen, ist die diagonale Kumulierung zwischen diesen Parteien anwendbar - unabhängig vom Verhandlungsstand der übrigen potenziellen Teilnehmer. Damit ergibt sich eine Struktur unterschiedlicher Kumulierungsmöglichkeiten im Warenverkehr mit den einzelnen Ländern.
Zum Ursprungserwerb in der Europäischen Union muss daher in jedem Einzelfall geprüft werden, ob das Regionale Übereinkommen oder Pan-Euro-Med-Abkommen mit gleichlautenden Ursprungsprotokollen anwendbar sind zwischen
- der Europäischen Union (als Herstellungsland) und
- dem Bestimmungsland und
- dem Land oder den Ländern, aus denen Vormaterialien mit dortigem Ursprung verwendet werden (als "Lieferländer", wobei es unbeachtlich ist, ob mehrere Lieferländer untereinander Pan-Euro-Med-Abkommen geschlossen haben).
Die Anwendbarkeit der Kumulierung durch die jeweiligen Länder setzt eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union (Reihe C) und im Gebiet der anderen Vertragspartei nach deren eigenem Verfahren voraus. Diese Informationen werden zusammengefasst und in als "Matrix" bezeichneten Tabellen 1-3 dargestellt. Für die Pan-Euro-Med-Kumulierung gelten dabei Tabellen 1 und 2, für die SAP-Kumulierung Tabelle 3 (siehe SAP-Kumulierung).
In Tabelle 1 markiert
- ein "C" ein zwischen zwei Parteien bestehendes Freihandelsabkommen mit Ursprungregeln, die eine Kumulierung nach dem Muster der ursprünglichen Pan-Europa-Mittelmeer-Ursprungsregeln vorsehen. Beteiligen sich drei Parteien (A, B und C) an einer diagonalen Kumulierung, müssen die Felder für A-B, B-C und A-C mit einem "C" markiert sein (d.h. die Markierung "C" ist dreimal erforderlich).
- ein "R" ein zwischen zwei Parteien bestehendes Freihandelsabkommen mit Ursprungregeln, die eine Kumulierung nach dem Muster des revidierten Regionalen Übereinkommens (Regeln von 2023) vorsehen. Beteiligen sich drei Parteien (A, B und C) an einer diagonalen Kumulierung, müssen die Felder für A-B, B-C und A-C mit einem "R" (oder „CR“) markiert sein (d.h. die Markierung "R" ist dreimal erforderlich).
Die in der Tabelle 2 aufgeführten Daten beziehen sich auf das Datum der Anwendung der diagonalen Kumulierung:
- Mit dem Zusatz "(C)" vor dem Datum:
Beginn der Anwendung der diagonalen Kumulierung auf Grundlage von Artikel 3 der Anlage I des Regionalen Übereinkommens über Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln - Ohne Zusatz vor dem Datum:
Beginn der Anwendung der diagonalen Kumulierung auf Basis bilateraler Ursprungsprotokolle - Mit dem Zusatz "(R)" vor dem Datum:
Beginn der Anwendung der diagonalen Kumulierung auf der Grundlage von Artikel 7 der Anlage I zum Übereinkommen in der durch den Beschluss Nr. 1/2023 des Gemischten Ausschusses des Übereinkommens vom 7. Dezember 2023 geänderten Fassung.
In Vertragsparteien, die die Übergangsregeln anwenden (Status CR), können Vormaterialien, die gemäß den Regeln von 2012 Ursprungserzeugnisse einer anderen Vertragspartei sind, für die Kumulierung nach den Regeln von 2023 verwendet werden, und zwar durch Anwendung des Grundsatzes der Durchlässigkeit. Dieser besagt, dass Waren der Kapitel 1, 3, 16 (für verarbeitete Fischereierzeugnisse) und 25 bis 97 des Harmonisierten Systems, für welche vor dem 1. Januar 2026 Präferenznachweise nach den bisherigen (alten) RÜ oder alten Protokollen ausgefertigt wurden für eine Kumulierung im Rahmen des revidierten RÜs verwendet werden.
Die Matrix kann länder- und stichtagbezogen in der Anwendung "Warenursprung und Präferenzen online" angezeigt werden.
Warenursprung und Präferenzen online
Ziel dieser Kumulierungen ist es, beim Ursprungserwerb auch Vormaterialien mit Ursprung in jedem beliebigen Land der Zone verwenden zu können, wenn das hergestellte Erzeugnis in ein beliebiges anderes Land dieser Zone ausgeführt werden soll.
Die Anlage I zum Regionalen Übereinkommen und die einschlägigen Ursprungsprotokolle sehen zudem folgende Besonderheit vor:
Vormaterialien mit Präferenzursprung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gelten als Vormaterialien mit Präferenzursprung in der Europäischen Union. Zum EWR gehören die Europäische Union, Island, Liechtenstein und Norwegen. Der Nachweis des EWR-Ursprungs erfolgt durch Präferenznachweise, in denen als Ursprungsland "EWR" angegeben ist.
Vormaterialien ohne Ursprung in der Europäischen Union oder einem der Partnerstaaten müssen immer die Ursprungsregel "ausreichende Be- oder Verarbeitung" erfüllen. Für Vormaterialien mit Ursprung in den Partnerstaaten gelten hingegen weitaus geringere Voraussetzungen, wobei folgende Varianten eines Ursprungs durch Kumulierung möglich sind:
- In der Europäischen Union erfolgt mehr als eine Minimalbehandlung. Das hergestellte Erzeugnis erwirbt den Ursprung der Europäischen Union.
- In der Europäischen Union erfolgt nur eine Minimalbehandlung. Der hier erzielte Wertzuwachs übersteigt den Wert der Vormaterialien mit Ursprung der beteiligten Länder, wobei auf jedes Land einzeln abzustellen ist. Das hergestellte Erzeugnis erwirbt den Ursprung der Europäischen Union.
- In der Europäischen Union erfolgt nur eine Minimalbehandlung. Der hier erzielte Wertzuwachs übersteigt nicht den Wert der Vormaterialien mit Ursprung der beteiligten Länder, wobei auf jedes Land einzeln abzustellen ist. Das hergestellte Erzeugnis behält den Ursprung desjenigen Landes, das wertmäßig den größten Anteil beigetragen hat.
- In der Europäischen Union erfolgt keine Bearbeitung, das heißt, die Ware wird unverändert weiter gehandelt. Das Erzeugnis behält den Ursprung des liefernden Landes.
Besonderheiten bei der Dokumentation
Bei beiden Kumulierungsarten ist für Vormaterialien aus der Türkei zum Nachweis ihres präferenziellen Ursprungs eine spezielle Lieferantenerklärung erforderlich. Sie wird auch dann benötigt, wenn die Waren aus der Türkei mit einer Warenverkehrsbescheinigung (WVB) A.TR. eingeführt wurden.
Wortlaut dieser speziellen Lieferantenerklärung
Im Rahmen der paneuropäischen Kumulierung gelten darüber hinaus keine Besonderheiten bei der Dokumentation des Ursprungs.
Hingegen ist bei der Pan-Euro-Med-Kumulierung wegen des noch nicht vollständig bestehenden Netzwerks nicht nur stets die "variable Geometrie", das heißt die Matrix zu prüfen. Vielmehr bestehen auch Besonderheiten bei der Ursprungsdokumentation
- sowohl für die verwendeten Vormaterialien mit Ursprung in den Partnerstaaten als auch
- für die gelieferten (hergestellten oder durchgehandelten) Waren.
a) Bis zum 31. Dezember 2025 ist die Anwendung der Pan-Euro-Med-Kumulierung im Rahmen des ursprünglichen Regionalen Übereinkommens "(C)" nur dann möglich, wenn die Vormaterialien mit Ursprung in den Partnerstaaten von dort mit einer WVB EUR-MED, oder einer Ursprungserklärung auf der Rechnung (UE) EUR-MED eingeführt wurden. Mit der alleinigen Anwendung des revidierten RÜ entfällt die EUR-MED bzw. UE EUR-MED.
Informationen zu Präferenznachweisen
b) Zudem ist es erforderlich, den Empfänger einer Ware entsprechend darüber zu informieren, ob die gelieferten Waren ihren Ursprung unter Anwendung der Pan-Euro-Med-Kumulierung erlangt haben und wenn ja, mit welchem Land oder welchen Ländern kumuliert wurde. Diese Information erfolgt
- bei Ausfuhren in ein Land der Pan-Euro-Med-Zone durch eine WVB EUR-MED, EUR.1 beziehungsweise UE (EUR-MED.) Hier ist mit "cumulation applied with …" anzugeben, mit welchen (in der Regel Liefer-)Ländern eine Kumulierung angewendet wurde. Auch wenn keine Kumulierung erfolgt und nicht das revidierte RÜ angewendet wird, kann ebenfalls die WVB EUR-MED beziehungsweise UE EUR-MED verwendet werden, in der dies ausdrücklich mit "no cumulation applied" dokumentiert wird. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn dem Empfänger der Ware der präferenzielle Export in ein anderes Land der Kumulierungszone ermöglicht werden soll.
- bei Lieferungen innerhalb der Europäischen Union durch den sogenannten Kumulierungsvermerk in den Lieferantenerklärungen. Hier ist durch "Kumulierung angewendet mit …" anzugeben, mit welchen (in der Regel Liefer-)Ländern eine Pan-Euro-Med-Kumulierung angewendet wurde. Unter "… und den Ursprungsregeln für den Warenverkehr mit … entsprechen" dürfen nur solche Länder eingetragen werden, mit denen sowohl das Herstellungsland Europäischen Union als auch die beteiligten Lieferländer bereits das Regionale Übereinkommen oder Pan-Euro-Med-Abkommen mit gleichlautenden Ursprungsprotokollen anwenden (Matrix!).
Ist keine solche Kumulierung erfolgt, so wird dies dokumentiert durch die Angabe "keine Kumulierung angewendet".
Weitere Informationen zu den Paneuropa-Mittelmeer-Ursprungsprotokollen und zur Verwendung der Warenverkehrsbescheinigung EUR-MED bzw. der Rechnungserklärung EUR-MED enthalten die Erläuterungen zu den Ursprungsprotokollen Paneuropa-Mittelmeer, die im Amtsblatt der EU Nr. C 83 vom 17. April 2007 veröffentlicht wurden.
Erläuterungen zu den Ursprungsprotokollen Paneuropa-Mittelmeer